TEXT VON AXEL HACKE
Einer der Gründe, warum Paola Paola heißt, ist: Einer ihrer Großväter war Italiener. Er lebte in einem kleinen ligurischen Dorf unweit des Meeres. Als Paola noch klein war, verbrachte sie dort ofr ihre Ferien. Die Folge: Sie kennt, erstens, in dem Dorf fast jeden und sie spricht, zweitens, perfekt Italienisch. Mein Großvarer war Westfale. Er lebte in einem kleinen Dorf weit entfernt vom Meer. Als ich klein war, verbrachte ich dort oft meine Ferien. Die Folge: Ich kenne, erstens, in dem Dorf fast jeden und ich spreche, zweitens, fast kein Italienisch. Jedes Jahr aber fahren wir mindestens einmal in das Dorf, in dem Paola als Kind so oft war. Das geht schon lange so und allmählich wird es peinlich, dass ich immer noch nicht Italienisch kann. Das heißt: Ich kann es natürlich ein bisschen. Ich kann buon giorno sagen, ich kann einkaufen gehen, ich kann in einem Restaurant etwas zu essen bestellen, sogar sehr flüssig, so flüssig, dass der Kellner in der Regel denkt, ich könne Italienisch. Sobald er aber sehr flüssig eine Rückfrage stellt, bin ich verloren. Ich verstehe ihn nicht. Paola muss für mich antworten.
Schlimmer ist es, wenn einer von Paolas zahlreichen Kindheitsfreunden sich mit mir auf Italienisch zu unterhalten versucht und ich mich daraufhin auch mit ihm auf Italienisch zu unterhalten versuche, mich vielleicht sogar in das Gefühl hineinsteigere, tatsächlich Italienisch zu können, bis ich an den ratlosen Blicken meines Gegenübers merke, dass sich mein Italienisch vielleicht für mich selbst wie Italienisch anhört. Dass es aber keineswegs Italienisch ist. Einmal sprach mich in München ein Asiate an. Er schien etwas zu fragen, aber ich verstand ihn nicht. Was er sprach, klang wie Deutsch, doch es war kein Deutsch. Er sagte zum Beispiel:
»Wu Bleistick das Niechenstein sum?«
Oder: »Ham Kambug Luckmeien schingen?«
Ich sagte, ich verstünde ihn nichr. Er sagte: »Wu Kambug Niechenstein das sum?« Ich rnusste ihm wieder sagen, dass ich kein verstünde. Er wurde wütend, stampfte mit dem Fuß auf und sagte: »Bleistick Luckmeien schingen das!« Er war fest überzeugt, Deutsch zu sprechen. Er dachte, ich wolle ihm einfach nicht helfen.
Bruno, mein alter Freund, wollte in einem italienischen Supermar:kt mal Tee kaufen. Er fand ihn aber nicht, den Tee, stand ratlos herum, bis ein Italiener ihn fragre, ob er ihm helfen könne. »Voglio tè«, ich will Tee, stammelte Bruno, aber er sprach es nicht richtig aus, und der Italiencr verstand »voglio te«, ich will dich, und hätte ihn beinahe gehauen. Na, das nur nebenbei.
Meistens rumpele ich meine Wünsche auf Italienisch hervor - dann sagt der Kellner Deutsch: »Sie sprechen aber sehr gut Italienisch.« Und fährt auf Deutsch fort. Die meisten italienischen Kellner sprechen ja deutsch, weil die meisten Leute, die sie bedienen, Deutsche sind, die kein Italienisch können, es aber verzweifelt versuchen.
Kürzlich stand ich in München in einer der italienischen Bars, die an jeder Ecke aus dem Boden geschossen sind, als ein älterer Mann hereinkam. Er rief dem Barmann jovial zu: »Zwei Expresso, bitte!« Hinter ihm ging seine Frau. Sie wirkte wie von Peinlichkeit geschüttelt und rief über die Schulter ihres Mannes: »Es-presso! Due es-presso!«
»-si«, sagte ich.
»Wie bitte?«, sagte sie.
»Due espres-si«, sagte ich besserwisserisch.
»Ja«, sagte sie.
»Si«, sagte ich.
»Ach so«, sagte sie ratlos.
So durchdringen sich die Sprachen gegenseitig. Sie werden vielleicht eines Tages ausgetauscht, indem alle Italiener Deutsch sprechen oder das, was sie dafür halten, und alle Deutschen Italienisch oder das, was sie dafür halten. So entstehen neue Sprachen. Als die Frau die Kaffees und ein Mineralwasser, das sie noch bestellt hatte, bezahlen wollte, sagte der Barmann:
»Elf Mark dreißig.«
Sie sagte: »Mach ma dodici.«